Wein ohne Schwefelzusatz
Willi Schedlmayer | 5. März 2011Schwefeldioxyd ist antibakteriell und ein gutes Konservierungsmittel – wer saubere Weine machen will, kommt heute ohne SO2 nicht aus.
Es gibt aber Winzer, die einen anderen Anspruch haben, als nur saubere Weine zu machen. Wein pur, könnte man sagen, ist nicht sauber im aseptischen Sinne, sondern lebendig.
Es ist wirklich eine Herausforderung: gesundes Traubenmaterial ohne Zuchthefen der Spontangärung zu überlassen, den Wein „wie von selbst“ werden zu lassen. Viel kann schief gehen und tut es auch. Bei der Vergärung, beim Ausbau, bei der Abfüllung, beim Transport und bei der Lagerung – jederzeit kann der Wein kippen.
Was hieße kippen? Es könnten sich Fehltöne entwickeln, die auf die Wirkung unerwünschter Hefen, Bakterien oder einfach auf Oxidation zurückzuführen sind.
Darum eben ist der Schwefel so ein Segen für den Winzer: Ein paar verfaulte Trauben? Macht nichts – einfach drüberschwefeln. Die Maische will nicht mehr anfangen zu gären? Macht nichts: einfach Zuchthefen zufügen und Temperatur erhöhen. Zu viel Säure? Chemisch entsäuern. Zuwenig Säure? Säure zufügen. Damit dann die Säure nicht zu stark spürbar ist: ein bissl Restzucker belassen. Wie macht man das? Die Vergärung abstoppen – mit Schwefel. Jetzt noch ordentlich filtern und nachschwefeln, damit beim Abfüllen und bei der Lagerung nichts mehr passieren kann. Der Rest ist Marketing – und füllt das Supermarktregal.
Gute Winzer wissen aber, dass es so nicht sein soll. Sie wollen natürlich gesundes Traubenmaterial, Biowinzer weigern sich, im Weingarten Gift zu spritzen. Es hat sich auch bereits herumgesprochen, dass Zuchthefen nicht das Gelbe vom Ei sind – ich schätze, dass immerhin im Promillebereich bereits Spontanvergärung gewagt wird (sicher ist es nicht einmal ein Prozent der Winzer, die ausschließlich spontan vergären). Dennoch: um den Schwefel kommt kaum wer herum, das Risiko ist einfach sehr hoch.
Warum wagen es dann aber einige doch, was soll das alles? Ich stelle es mir so vor: Wer es wissen will, wagt es.
Wer wissen will, wie reiner Wein schmeckt, probiert es einfach aus: ohne Schwefel, der die Oxidation verhindert, der die Hefen bändigt, der den Wein konserviert.
Es ist, wie wenn man einem Kind zutraut, dass es das selber schaffen wird. Du musst es lassen – und es ist wunderbar, wenn es sich entfalten darf. Hier sind Möglichkeiten angelegt – es erfordert Mut, sich auf sie einzulassen.
Es kann jederzeit schief gehen. Darum gehen auch mutige Winzer das Wagnis nur in guten Jahren ein (und auch dem Kind wird man nicht alles bei jeder Gelegenheit zutrauen).
Von einem gesunden Weingarten kommen in guten Jahren Früchte und Hefen, aus denen „wie von selbst“ guter Wein werden kann.
Und umgekehrt, was guter Wein eigentlich ist, kann vielleicht überhaupt nur im Hinblick auf Weine gesagt werden, die in solcher Weise entstanden sind. Das Verblüffendste ist, wie unterschiedlich, wie individuell sie sein können.
Ertragen wir das Individuelle? Können wir einen eigensinnigen Philosophen oder Schriftsteller, einen Maler oder Musiker, der sich nicht an die vorgegebenen Geschmacksgrenzen hält, ertragen? Ertragen wir das eigensinnige Kind?
Ohne das widerständige Kind, den Philosophen, der selber denkt, den Musiker, der das Unerhörte hörbar macht, wären wir alle arm – und wären es ohne die Winzer, die das Wagnis eingehen. Wir danken ihnen Weine, die zeigen, was jeweils möglich war – in diesem Jahr, aus diesem Weingarten .. gelungen; oder verfehlt, gekippt, gebrochen .. es könnte was schief gelaufen sein bei der Lagerung, wir werden sehen.
Ich habe Weine, die wunderbar sind, wie der Blick in ein liebendes Augenpaar – aber es gibt auch Ausrutscher, Weine, die alles riskiert – und alles verloren haben, bei denen du glaubst, es holt dich der Teufel, die du nur ausspucken kannst, die all denen Recht geben, die auf den Schwefel schwören – erst einer dieser Weine würde uns zeigen, was jeder andere der „ungeschwefelten“ Weine riskiert hat.