Vom Wein
Willi Schedlmayer | 19. Mai 2010Milch & Wasser
Milch trinkt Mensch, erst einmal. Der Mund schließt sich .. um einen mütterlichen Quell .. und saugt pure Wonne. Später verdoppelt sich der Quell, erste, subtile Differenzen des Gebens und Nehmens .. die linke und die rechte Brust. Trinken ist hier alles: Nahrungsaufnahme, Flüssigkeitszufuhr, Zuwendung – Seligkeit. Bald aber gibt es ein Jenseits der Mutter: Wasser. Das Wasser stillt den Durst, nährt aber nicht. Hinter der Mutter tut sich eine größere Geberin auf, die Erde. Scheidung der Bedürfnisse in Hunger und Durst. Es bleibt der Wunsch nach Mundlust, die Mutter wird ihn nicht ewig befriedigen. Es bleibt die Erinnerung an ein Aufgehobensein im Ungeschiedenen, die Mund-Brust-Milch-Maschine war paradiesische Perfektion.
Wasser & Wein
Das Wasser kommt uns zu, es ist da – ohne es sind wir nicht. Es dampft und regnet, es rieselt und sprudelt – so trinken wir es im Idealfall: aus einem klaren Quell. Freilich reicht es längst nicht mehr – davon ist hier nicht die Rede. Nur soviel: Wein ist nicht wie Wasser, Wein ist nicht ohne den Menschen. Der Wein wird angebaut, der Garten muss gepflegt sein, die Ernte ist mühsam, dann hat man die Frucht – aus Ihr rinnt der Saft, der Saft vergärt wie von selbst, doch auch hier wird kein Wein ohne den Kult, die pflegliche Sorgfalt. Der Wein ist ein Getränk, dessen Herstellung abhängt von einem kulturellen Wissen. Wie wird er gemacht, wozu wird er gebraucht ..
Lebensmittel & Droge
Wir essen und trinken. Für den Durst trinken wir Wasser – wozu also Wein? Die Antworten sind vielfach. Wein besteht zum Großteil aus Wasser, ist aber immer mehr. Er enthält Nährstoffe, Vitamine, Wirkstoffe, die mancherlei vermögen – und Alkohol, der verbrannt werden muss und so auch Kalorien “bringt”, zugleich aber ein Rauschmittel und Nervengift ist. Als Lebensmittel und nur, wenn er in kleinen Mengen getrunken wird, bereichert der Wein unsere tägliche Ernährung oder krönt ein festliches Mahl – als wirkmächtige Droge dient er uns in symbolischen Riten oder wieder im Fest, wir genießen das Gift .. oder erliegen ihm in besinnungslosem Rausch und der Sucht.
Vom Genuss
Was genießen wir, wenn wir den Wein genießen? In diesem Genuss mag ein Wiederhoungsmotiv liegen, eine Gewohnheit, in der wiederum das Spiel mit der Sucht verkapselt sein kann. Der Wohlgeschmack freilich ist es, den wir genießen – ihn preisen wir gerne. Wir sprechen davon, wie gut das ist, was wir trinken, worin es sich von anderem unterscheidet, wir reden im Genuß, wir genießen gemeinsam. Stiftet der Weingenuss die Gemeinsamkeit oder besiegelt er sie? Warum lässt sich so trefflich reden und streiten über den Wein, den wir trinken? Die Herstellung dieses Produktes ist so anspruchsvoll, dass es wie ein Buch zum Gegenstand eines kulturellen Austausches werden kann. Auf einer Ebene wird geredet über das, was “in Mode” ist, was eben angesagt sein soll, auf einer anderen Ebene verständigen sich Kenner, Liebhaber, Sammler, Besessene. Und wie bei einem Buch kann es auch den einsamen Genießer geben, der, allein mit dem Wein, in bewusster Wahrnehmung, seine ganze Vielfalt, sein Gewordensein und Eingebettetsein in eine kulturelle Welt Schluck für Schluck nachbuchstabiert, phantasmatisch neugestaltet, genießt.
Vom Rausch
Zu sagen ist, dass es keine allgemeine Kultur des Rausches gibt. Im Bierkeller gibt es das Schunkeln, gesungen wird manchmal auch noch in der Weinstube oder beim Heurigen – angezogen werde ich davon nicht.
Der Wein als Palliativ, der Rausch als Sucht, die Sucht als Krankheit – das blenden wir gerne aus. Wir sollten es nicht vergessen: Zuviel vom Wein ist der Gesundheit abträglich und gehört zu den Missverhältnissen in unseren Gesellschaften, die sich in prekären Arbeitsverhältnissen und unfinanzierbarem Gesundheitswesen widerspiegeln. Dennoch plädiere ich für eine neu zu findende Kultur des Rausches, der Berauschung. Zum Fest gehört das Rauschhafte und wir können es über ein wunderbares Produkt wie den Wein hereinholen.