Valtellina: Weinbau
Willi Schedlmayer | 30. September 2012Der gute Rote aus dem Valtellina ist ein Bergwein vor allem aus der Nebbiolotraube, die hier aber traditionell Chiavennasca heißt. Das Valtellina: ein alpines Tal an der Grenze zur Schweiz und zu Südtirol, das im Norden von der Bernina und dem fast 4000 Meter hohen Piz Palü überragt wird. Es ist Verwitterungsboden (Urgestein) und seine Sande, auf denen der Wein hier vor allem wächst. Seit Jahrhunderten werden die Berghänge hinauf Terrassen gebaut. Besonders im Spätsommer und Herbst, vor der Lese, ist der Kontrast zwischen warmer Sonnenexposition und sehr kühlen Nächten der Aromen- und Säurebildung förderlich – und so bekommen wir hier auch bei sehr guten Gewächsen einen relativ hellen Wein ins Glas, der duftig ist, viel Finesse hat, eine angenehm kühle Frische – und zugleich wärmend und lang im Abgang. Der besondere Charakter der besten Weine dieser Region ergibt sich weiters daraus, dass für ihre Bereitung ein Anteil nachgetrockneter Trauben verwendet wird (auf Strohmatten getrocknet).
Sondrio
Die Provinzhauptstadt, die Stadt an der Adda, die Weinstadt – die bedeutendsten Weinlagen des Valtellina befinden sich unmittelbar über Sondrio – und vom Zentrum der Stad aus sieht man bis hoch in die terrassierten Weinberge hinauf. (Bild links)
Die Qualitäten:
Vom “einfachen” IGT – über den Rosso zu Valtellina superiore und Sforzato (D.O.C.G.) – es ist fast alles Rotwein und hauptsächlich aus Nebbiolo-Trauben. Weißwein macht unter 1% aus – rote Rebsorten neben dem Nebbiolo (oder Chiavennasca) sind vor allem Rossola nera, Pignola valtellinese und Fortana.
Terrazze Retiche di Sondrio IGT
- Rotwein großteils aus Nebbiolo-Trauben von den Steilhang-Terrassen, die auf den Südhängen über Sondrio liegen – diese sind Teil der Rätischen Alpen, daher der Name. Der erlaubte Hektarertrag ist höher als bei Valtellina superiore. Auch ist die Verwendung nachgetrockneter Trauben nicht erlaubt. Der Ausbau erfolgt in Stahltanks, was den Weinen eine angehme Fruchtigkeit und Frische verleihen kann. Der Wein von Le Strie war durchaus komplex, kräuterig – interessant. Der Preis entspricht etwa einem guten 1er Cru an der Côte Chalonnaise (da schaust:, aber solche Terrassen haben die dort eben nicht). Dank an Stefano Vincentini von Le Strie für seine detaillierte Auskunft zum Thema Terrazze Retiche.
Rosso di Valtellina D.O.C. – bei unserem Kost-Beispiel (Bild oben links) von ARPEPE handelt es sich tatsächlich um einen “deklassierten” Superiore. Aber auch so ist der Wein noch immer als D.O.C. klassifiziert – und anders als der Terrassenwein im Holzfass ausgebaut. Auch der Ertrag ist geringer. Das alles rechtfertigt gewiss einen höheren Preis – aber um wieviel höher? Wieder macht der Weinhändler eine interessante Beobachtung. In Chiavenna findet man die Flasche in einer sehr gut sortierten Vinothek ca. um 10 Euro – der Produzent velangt aber vom (potentiellen) Importeur auch nicht viel weniger – freilich noch ohne Steuern. Bei Wine-Searcher findet man zwischen 2009 und 2012 eine Preisentwicklung zwischen 7 und 19 Euro (siehe Link unten). In diesem Fall dürfte das aber nicht wirklich für den Wein sprechen (der Markt entwickelt sich, es handelt sich also um eine gute Investition), sondern darauf hindeuten, dass versucht wird, für das Nischenprodukt einen rein spekulativen Preis zu erzielen. 7-10 Euro ist der Wein allemal wert – beim Doppelten hört sich die Liebhaberei auf. Degustativ besticht der Rosso von ARPEPE durch frische Säure und dichte Aromen – guter Tischwein.
http://www.wine-searcher.com/wine-141942-0001-ar-pe-pe-rosso-di-valtellina-lombardy-italy
Valtellina superiore D.O.C.G.
Die amtlichen Vorgaben sind zahlreich – nach internationalen Maßstäben aber teilweise erstaunlich. So der maximale ha-Ertrag von 8 Tonnen. Das ergibt etwa in Frankreich nicht mehr als einen roten Landwein! Die guten Produzenten legen natürlich auch im Valtellina Wert darauf, diese Vorgaben zu unterschreiten – aber was für ein System! Hohe Ertragsgrenzen – die dann unterschritten werden, damit was Trinkbares herauskommt. Ebenfalls vorgeschrieben ist eine Fasslagerung von 12 Monaten und ein minimaler Alkoholgehalt von 12 %. Der Anteil an Nebbiolo muss mindestens 90 % betragen. Entscheidend für die Eigenart dieser Weine ist, dass ein Anteil von nachgetrockneten Trauben verwendet werden darf (bis zu 30%). Hier muss man nicht noch einmal das denkwürdige System am Werk sehen (erst eine hohe Ertragbeschränkung festlegen – und dann volumensreduzierte Trauben mitverwenden), sondern durchaus eine regionale Tradition, die ihre Meriten hat. Es ist ja das herbstkühle Klima, das die Trocknung der Trauben erst möglich macht (auf Strohmatten aufgebreitet). Das so konservierte Material kann dann Ende November bis Mitte Jänner, wenn der Großteil der Ernte bereits vergoren ist und auch sonst in der Landwirtschaft nicht mehr so viel Arbeit anfällt, langsam (durchaus auch nach und nach) verarbeitet werden.
Die Ertragsbegrenzung für Valtellina superiore ist also eigentlich lächerlich hoch – und die Fasslagerung als solche sagt auch nicht viel über die Qualität des Produkts aus. Es muss aber ganz klar gesagt werden: In dieser Klasse von Weinen finden wir wirklich großartige Gewächse – Weine die auch den Vergleich mit so berühmten Regionen wie Piemont oder Burgund nicht zu scheuen brauchen. Wem verdanken wir diesen Umstand? Ist es der Markt, der das hervorbringt – das Engagement der Winzer – die Nachfrage der Schweizer? Jedenfalls wird man hinsichtlich der verlangten Preise nicht mehr ganz so streng sein. Und doch: ein eigenartiges Gebilde!
Für die zwei folgenden Lagen habe ich keine Muster bekommen und kann derzeit auch nicht viel über sie sagen.
Maroggia – an Sassella anliegend – kleine Lage (25 ha)
Valcella – die größte Einzellage (137 ha)
Sassella – davon habe ich vor allem im Valtellina selbst manches erfreuliche verkostet.
Es handelt sich um eine große Lage (130 ha) westlich oberhalb von Sondrio – von der Stadt aus sieht man auch auf das santuario mariano della Sassella hinauf (ein Bild über den Link: http://www3.orobie.it/articolo.asp?UrlFile=/input/2001/04/SOMM_not.html). Die links gezeigte Flasche “Stella Retica” hatte als Musterflasche leider Korkgeschmack – beim Produzenten hat er mir im August aber sehr gut geschmeckt. Aus der gleichen Lage bietet ARPEPE einen Wein an, der es wahrlich in sich hat: den “Ultimi Raggi” 2005. Die Trauben stammen aus großer Höhe (über 600 Meter) und sind spät gelesen. Der Anteil an stockgetrockneten (sehr spät gelesenen) Trauben bringt Alkohol und Fülle. Der Wein hat die Vibration eines ganz großen Weines – hier nur der Link zur Unterseite beim Produzenten http://www.arpepe.com/it/i-nostri-vini/229/sassella-ultimi-raggi.htm.
Grumello Lage von 78 ha nord-östlich von Sondrio mit einer Burg aus dem 13. Jh. Mir fällt es nicht leicht, eine spezifische geschmackliche Eigenart anzugeben – vielmehr sind die Unterschiede zwischen einzelnen Weinen enorm. Der links abgebildete Grumello von Triacca war jahrgangsbedingt nervig, dabei aber durchaus auch harmonisch (und jedenfalls vergleichsweise preiswert). Von ARPEPE habe ich großartigen Grumello gekostet, der geradezu burgundische Dimensionen hatte (Grumello Riserva “Buon Consiglio”). Rechts unten eine Teil-Ansicht der Grumello-Lage von unten.
Inferno
Der Name hat gewiss mit den Arbeitsbedingungen der heißen Lage zu tun (55 ha). Der Wein von Triacca aus dem Jahr 2009 hat uns sehr für sich eingenommen: rotbeerig, deutlicher Wärmeton, dabei die typische Säure (in diesem tollen Jahrgang mürber als sonst). In Italien sind die Weine von Triacca erstaunlich günstig zu bekommen: eine Empfehlung! (Vgl. etwa hier: http://www.wine-searcher.com/wine-235187-2007-triacca-grumello-valtellina-superiore-docg-lombardy-italy)
Sforzato D.O.C.G.
Die Trauben für den “Sfursat” oder Sforzato werden auf Strohmatten um die 110 Tage lang nachgetrocknet – in dieser Zeit verlieren sie mehr als 40% ihres Gewichtes und der Zuckergehalt steigt proportional. Der Mindestalkoholgehalt liegt bei 14 %, tatsächlich finden wir aber Weine mit bis zu 15,5 % Alkohol. Technisch ist dieser Wein dem Amarone nicht unähnlich – geschmacklich unterscheidet er sich sehr von diesem. Wieder ist es die für das Valtellina typische höhere Säure und eine wunderbare Finesse, die die besten Weine auszeichnet. Sie werden mindestens zwei Jahre im Holzfass und auf der Flasche ausgebaut und brauchen meist 5-8 Jahre, um ihre volle Reife zu erlangen. Bei guter Lagerung sind sie Jahrzehnte haltbar. Ein guter Sforzato hat wirklich einen großen Atem – feiner Duft, subtiler und zugleich kräftiger Geschmack, sehr nachhaltig – und bei allem Alkohol nicht schwerfällig (manchmal mit leichter Restsüße). Zugleich eine Herausforderung für die Küche (köstlich mit Wild oder getrocknetem Fleisch – aber auch mit Pilzgerichten).
Produzenten
Interessante Hinweise erhalten wir hier:
http://www.cervim.org/de/valtellina.aspx
Demnach haben 96 % aller Weinbaubetriebe im Valtellina weniger als ein ha Anbaufläche – die restlichen 4 % besitzen insgesamt 35 % der gesamten Rebflächen, und tatsächlich sind es einige Wenige, die sich den überregionalen und internationalen Markt aufteilen.
Ich hätte natürlich Lust, einige von den ganz kleinen Produzenten zu besuchen. Was kostet bei denen eine Flasche – wie schmeckt sie? Es ist nicht ausgemacht, dass diese bäuerliche Struktur nicht auch Qualität hervorbringt. Ich erinnere mich etwa an eine Wurst aus Pferdefleisch, die ich bei einem ganz kleinen Produzenten gekauft habe und die wundersam gut war.
Einige Produzenten findet man hier:
http://www.consorziovinivaltellina.com/I_Produttori.html
Die von uns verkosteten Produzenten kommentiere ich hier nur kurz:
AR.P.E.P.E. – habe ich vor Ort besucht und sehr feine Weine verkostet (siehe oben, Grumello und Sassella). Auch die Keller sind beeindruckend. Bei den Mustern hatten wir weniger Glück (Korkgeschmack) und die Preise schienen teilweise zu hoch. Die besten Weine sind aber entschieden ihr Geld wert! Website hier: http://www.arpepe.com/de/copertina
Conti Sertoli Salis – hat eine aufwändige Website .. zwei Weine haben wir verkostet – einen von den rätischen Terrassen (nervig, duftig, viel Charakter) und den Sforzato Canua (leichte Salznote, auch etwas bitter: alles andere als ein Schmeichler! Man braucht Zeit, um sich anzufreunden mit ihm, der Wein gibt aber schon was her). Website des Weingutes hier: http://www.sertolisalis.com/vini_rossi_eng.html
Von Le Strie haben wir nur einen “einfachen” IGT gekostet – gut und ansprechend. Per Mail zudem profunde Auskunft erhalten! Alles sehr sympathisch. Hier zur Website: http://www.lestrie.it/
Plozza hat Muster geschickt – aber aus der Schweiz (da wäre Zoll nachzuzahlen gewesen: das wollten wir denn doch nicht); so haben wir leider nicht gekostet. Hier zur Website:http://www.plozza.ch/
Von Triacca haben wir drei Weine gekostet – besonders Inferno 2009 und Sforzato waren ganz ausgezeichnet. In Italien sind die Weine günstig zu bekommen – wahrlich eine Emfehlung! Hier zur Website: http://www.triacca.com/
Von Mamete Prevostini haben wir nur einen Sforzato gekostet – grandioser Wein von enormer Fülle. Hier zur Website des Weingutes: http://www.mameteprevostini.com/de/home.jsp?idrub=2
Mamete Prevostini ist auch Präsident des Consorzio Tutela Vini Valtellina, auf dessen Website grundlegende Informationen angeboten werden (hier habe ich mich gerne bedient): http://www.consorziovinivaltellina.com/Homepage.html
Besonders hinweisen möchte ich auch noch auf: CERVIM – Forschungs- und Studienzentrum zur Wertschätzung des Weinbaus in den Bergregionen. Hier findet man nicht nur zum Valtellin sehr Lesenswertes: http://www.cervim.org/de/valtellina.aspx